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"Offenbar meint man, wir brauchen diese 30 Prozent nicht"

Warum gibt es eigentlich kein "Dienstags für die Bildung"? Die Soziologin Jutta Allmendinger über Bildungsarmut, abgehängte Jugendliche und das vergebliche Warten auf den Aufschrei.

Jutta Allmendinger ist seit 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Professorin für Bildungssoziologie und Arbeitsmarktforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Foto: WZB/David Ausserhofer.

Frau Allmendinger, ein Viertel der Viertklässler kann nicht richtig lesen, schreiben oder rechnen, der IQB-Bildungstrend zeigt einen dramatischen Abwärtstrend. Die soziale Kluft im Bildungssystem geht weiter auf, die soziale Ungleichheit nimmt auch sonst in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu. Was passiert da gerade?  

 

Sie benennen hier gleich drei Entwicklungen, die für die betroffenen Menschen belastend und entwürdigend sind. Für unsere Gesellschaft sind sie beschämend. Erstens steigt die absolut gemessene Armut, vor allem in der Bildung. In der Tat ist ein Viertel der Viertklässler in den Bereichen Orthografie, Leseverständnis und Mathematik als bildungsarm zu bezeichnen, die nötigen Kompetenzen fehlen völlig. Zweitens hat sich das Risiko erhöht, am gesellschaftlichen Fortschritt nicht teilnehmen zu können, also relativ zum Durchschnitt der Bevölkerung als arm zu gelten. Beispiele sind Einkommen, Wohnen, Energieversorgung, finanzielle Rücklagen, Gesundheit. Drittens geht es um die soziale Ungleichheit: Unterschiede zwischen "unten" und "oben" nehmen zu, beim Vermögen und in vielen anderen Bereichen.

 

Die Schere geht immer schneller auseinander? 

 

Richtig. Wir sehen seit 1992 eine deutliche Steigerung im Einkommen über alle Schichten hinweg, die relative Armutsquote hat sich aber nicht reduziert. Nach der Finanzkrise 2008 hatten wir die Hoffnung, dass sich die Schere etwas schließen könnte. So war es aber nicht. Und seit der Coronakrise hat die Ungleichheit wieder zugenommen, der Ukrainekrieg, Digitalisierung und die Energieknappheit verstärken diese Entwicklung. 

 

Viele haben den Eindruck, dass die Politik untätig vor all dem steht.

 

Das würde ich so generell nicht sagen. Die Einführung des Mindestlohns und seine jetzt deutliche Erhöhung waren historische Schritte. Wenn die Ampel-Koalition die geplante Kindergrundsicherung einführt, ist das ein nächster Schritt nach vorn. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sind weitere Antworten enthalten – etwa das Startchancen-Programm. Bund und Länder könnten dann viel besser zusammenwirken, gerade bei der Bekämpfung von Bildungsarmut. Die Frage bleibt, was davon wie tatsächlich umgesetzt wird. Was auch fehlt, ist eine in sich stimmige, ressortübergreifende Anti-Armutspolitik, die die unterschiedlichen Dimensionen von Armut gemeinsam und zielgerichtet adressiert.  

 

"Man verweigert jungen Menschen

basale Möglichkeiten der

gesellschaftlichen Teilhabe." 

 

Wäre die beste Anti-Armutspolitik nicht eine konzertierte Bund-Länder-Strategie für ein besseres Bildungssystem? Und noch dazu die einzige Option, um an die Wurzeln der gesellschaftlichen Schieflagen zu kommen?

 

Einmal vorweg: Man muss natürlich auch den umgekehrten Zusammenhang im Blick haben: Armut führt zu Bildungsarmut, daher ist es unerlässlich, immer auch die materiellen Lebensverhältnisse im Blick zu haben – und hier sind etwa die Steuer- und Sozialpolitik gefragt. Aber ohne eine bessere Bildungspolitik geht nichts, das sehe ich auch so. Die Bedeutung von Bildung und Weiterbildung ist heute größer als je zuvor. Die Anforderungen im Arbeitsmarkt verändern sich schnell und sie steigen, etwa an die digitalen Kompetenzen und das über alle Branchen und Berufe hinweg. Ein Beispiel: Ich bin im Aufsichtsrat der Berliner Stadtreinigung, auch bei den Müllwerkern und den sehr wenigen Müllwerkerinnen läuft immer mehr digital. Verschmutzungen sind digital zu registrieren, Fahrwege, Beschwerden. Umso unverständlicher ist es, dass auch die digitalen Kompetenzen vieler Achtklässler sehr bescheiden sind. 10 Prozent fehlen die einfachsten digitalen Kompetenzen. In Haushalten, in denen Deutsch nicht die Familiensprache ist, sind es sogar 20 Prozent. Hier geht es um weit mehr als um den Arbeitsmarkt. Man verweigert jungen Menschen basale Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe. 

 

Hauptsache, die Mittelschicht erwischt es nicht, denken viele womöglich.

 

Empirisch ist das ja nicht richtig. Wenn 20 Prozent eines Jahrgangs bildungsarm sind und auf Sozialtransfers angewiesen sein werden, so betrifft das letztlich die gesamte Gesellschaft. Zudem finden sich niedrige schulische Kompetenzniveaus auch in der Mittelschicht – wenngleich in geringerem Ausmaß als in sozio-ökonomisch schlechter gestellten Schichten. Letztlich garantieren auch mittlere Bildungsabschlüsse nicht immer den direkten Übergang in eine Ausbildung. Wenn Jugendliche mit einem ordentlichen Realschulabschluss 50 Bewerbungen schreiben und nur Absagen bekommen, lassen wir auch diese Jugendlichen im Stich. 

 

Was hat sich geändert?

 

Die Jugendlichen sind heute jünger, wenn sie die Mittlere Reife machen, oft noch keine 17. In einigen Branchen kann man in diesem Alter keine Ausbildung aufnehmen und muss warten. Warum eigentlich? Hier fehlt die Synchronisierung. Hinzu kommen Folgen der Corona-Pandemie. Viele Jugendliche haben die Zeit der Lockdowns nicht gut verkraftet. Es gibt hierzu noch kaum empirische Studien, an einigen arbeiten wir gerade. Aber ich erhalte und lese viele Berichte über Jugendliche, die ihre realen sozialen Kontakte verloren und nicht wieder aufgenommen haben. Sie bleiben auch jetzt noch zu Hause, verlinken sich rein digital. Die Wohnung zu verlassen, ist für sie eine Strafe – früher wäre es der Hausarrest gewesen. Sie beginnen zu fremdeln. Für ein Vorstellungsgespräch ist das nicht hilfreich. Ihnen fehlen aber auch die Netzwerke und Kontakte zu entfernten Bekannten, die bei der Job- und Ausbildungssuche so wichtig sind.  

 

Das hat aber nichts mit Arbeitgebern zu tun, die selbst Zweier-Absolventen nicht mehr als Azubis einstellen.

 

Es kommt vieles zusammen. Ausbildungswege haben sich differenziert, aber die Jugendlichen werden nicht entsprechend beraten. Die Unsicherheit, welche Berufsbranchen solide Beschäftigungsaussichten bieten, ist groß. Zu schnell ändern sich Bedarfe. Aber es gibt nur wenige Auskunftsstellen, die entsprechend beraten. Noch immer stellt man nach Zertifikaten ein, die ein bereits erworbenes Wissen dokumentieren. Warum zählt nicht das Potenzial? Noch immer gehen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu häufig davon aus, "fertige" und sofort passende Menschen für ihre Ausbildungsplätze zu finden. Da reicht dann mitunter eine Rot-Grün-Schwäche, um eine Absage zu kassieren. Gerade große Unternehmen könnten sich hier deutlich nachhaltiger aufstellen. Für die eine Ausbildung passt ein Bewerber vielleicht nicht, eine andere aber könnte passen. Da könnte man viel besser unterstützen und ermutigen.  

 

"Was nützen Noten, wenn

das Können fehlt? Wir haben es

mit einem Qualitätsproblem zu tun."

 

Sie sprechen von der gesellschaftlichen Verantwortung von Arbeitgebern. Was ist mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Politik, endlich ein gerechteres Bildungssystem zu schaffen?

 

Darüber hatten wir eingangs kurz gesprochen. Natürlich steht auch die Politik in der Verantwortung. Die schulische Bildung, die Ausbildung und die Weiterbildung brauchen ein stärkeres Gewicht. Da sind sich ja auch alle einig. Es passiert dennoch zu wenig im Geflecht des Föderalismus. Neulich erzählte mir eine extrem gut gebildete und beruflich erfolgreiche Frau, dass sie ihren Jungen jetzt zur Nachhilfe schickt, weil er in der dritten Klasse nicht richtig schreiben kann. Gute Noten hat er trotzdem. Aber was nützen Noten, wenn das Können fehlt? Wir haben es mit einem Qualitätsproblem zu tun. Hinzu kommt das von Ihnen angesprochene Gerechtigkeitsproblem. Würde der kleine Junge in einer ökonomisch schwachen Familie aufwachsen, würde er wohl weniger unterstützt. Seit Jahrzehnten zeigen die Daten, dass sich Kompetenzen und Bildungschancen "sozial vererben". Auch hier können wir ansetzen: Wir müssen endlich aufhören, alle Kinder gleich zu behandeln, alle Schüler und alle Schulen. Die ungleichen Ausgangsbedingungen verlangen ungleiche Unterstützung. Wer es schwer hat, muss stärker gefördert werden. Und das gilt nicht nur für die einzelnen Schülerinnen und Schüler, sondern natürlich auch für die vielen Schulstandorte, die unter schwierigen sozialen Bedingungen arbeiten. Hier bedarf es dringend einer sozial differenzierten Mittelzuweisung, etwa entlang von Sozialindizes, wie sie zum Beispiel in Hamburg bei der Schulfinanzierung herangezogen werden.  

 

Schluss mit der Gießkanne?

 

Das ist ein altes Mantra. Im Koalitionsvertrag ist dies eigentlich auch sehr deutlich formuliert worden. Das finde ich klasse. Das Startchancen-Programm soll diejenigen Schulen mit mehr Geld und mehr Personal ausstatten, an denen der Anteil von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern besonders hoch ist. Aber der Teufel steckt im Detail. Wie die Mittel genau verteilt werden, ob es also zum Beispiel einen bundesweiten Maßstab geben wird, an dem sich die Bedarfe bemessen oder die Programmmittel wieder einmal nach dem Königsteiner Schlüssel – und damit nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl – auf die Länder verteilt werden, ist offen. Letzteres würde dazu führen, dass ein Land wie Bremen, in dem es besonders viele sozial belastete Schulen gibt, vergleichsweise schlechter dasteht als ein Land wie Bayern, das vergleichsweise wenige solcher Schulen hat. 

 

Sie sagen: Eigentlich steht es im Koalitionsvertrag. Tatsächlich soll das Startchancen-Programm erst 2024/25 kommen, und seine Finanzierung ist völlig offen. Warum schaffen wir es nicht, die Bildungschancen von benachteiligten Kindern in der Krise zu priorisieren? Hat die Politik Angst vor der Wut der Bildungsbürger?

 

Ich glaube nicht, dass die Bildungsbürger ein Startchancen-Programm als Bedrohung für die Bildung ihrer eigenen Kinder wahrnähmen. Wenn alle Kinder Abitur machen würden, gäbe es möglicherweise einen Aufschrei. Aber ich kenne keine Umfrage, der zu folge Akademiker die wachsende Ungleichheit im Bildungssystem gutheißen würden. Im Gegenteil: In einer Ifo-Umfrage von 2019 sprachen sich mehr 70 Prozent der Befragten für Mehrausgaben für Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien, Die Leute sind ja nicht dumm, sie wissen: Bildungsarmut wirkt sich nicht nur auf die betroffenen Menschen aus, sondern auf die Gesellschaft als Ganzes. Ich glaube, wir müssen anderswo ansetzen.

 

Und wo?

 

Beim Bildungssystem. Der Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Einheitlichen Anforderungen. Lehrerbildung- und weiterbildung. Zielgenauere Mittelvergabe. Budgetverantwortung. Transparenz. Welche Schulen schneiden gut ab? Warum? Wie können wir die Erfolgsbedingungen auf andere Schulen übertragen? Die paar herausragenden Schulen, die wir jedes Jahr mit dem Deutschen Schulpreis auszeichnen, sind toll, viele haben die Transformation geschafft – aber in die Breite wirken sie nicht. Wir lernen von ihnen viel zu wenig. Es bleiben Modelle.

 

Was spricht denn dagegen, diese Transparenz zu schaffen? Woher kommt diese Lethargie?

 

Lethargie ist es eigentlich nicht. Bei den Kultusministerinnen und Kultusministern ist das Problembewusstsein da. Alle wissen ganz genau, was los ist. Aber man denkt an das eigene Land, scheut den Vergleich, hat Angst vor einer Blamage. Hinzu kommt: Wer denkt in diesen Zeiten noch an die Bildungspolitik?

 

"Wenn von den Chancen der jungen Generation 

die Rede ist, wann kommt dann noch das 

Stichwort 'Bildung'? Erschreckend selten."

 

Vor der Bundestagswahl war das anders. 

 

Das stimmt. Habeck, Baerbock, Scholz, Lindner, sie alle haben vor der Wahl über Bildung gesprochen, und meinten das sehr ernst. Das zeigt sich auch im Koalitionsvertrag, der an die Wurzel wollte, auf Prävention durch Bildung und nicht allein auf Reparatur über Sozialpolitik setzte. Eine Stärkung des Bundes, eine Reform des Bildungsföderalismus. Doch dann kam der Krieg. Im permanenten Krisenmodus scheint man die Bildung etwas zu vergessen.

 

Die Ambitionen des Ampel-Anfangs haben sich Ihres Erachtens erledigt? Die Zukunftschancen der jungen Generation werden wieder hintangestellt, wie schon in der Corona-Krise?

 

Wenn von den Chancen der jungen Generation die Rede ist, wann kommt dann noch das Stichwort "Bildung"? Erschreckend selten. Obgleich die Lage noch dramatischer geworden ist. Als die IQB-Ergebnisse veröffentlich wurden, erwartete ich einen Aufschrei. Aber der kam nicht. Schnell ging man zur Tagesordnung über, auch die Medien, die Top News waren andere. Und dann stellen sich viele hin und klagen über den Fachkräftemangel. Obgleich man so viele zurücklässt. Das ist doch ein Hohn. Und es geht anders! Wir brauchen eine Bewegung, Proteste, vielleicht "Dienstags für die Bildung". Aber das bekommen wir nicht hin, offenbar meint man, wir brauchen diese 30 Prozent nicht.

 

Ist das nicht ein bisschen hart formuliert?

 

Sie haben ja Recht. Natürlich gibt es auch Bildungsproteste. Die Pandemie hat es gezeigt. Eltern mit hohem Bildungsstand haben sich solidarisiert und gegen die Schulschließungen, die vielen Tests, die Masken demonstriert. Und das, obwohl ihre Kinder vergleichsweise wenig von den Folgen betroffen waren. In der Breite sehe ich das aber nicht. 

 

"Bildungspolitik ist die beste Sozialpolitik.

Sie ist auch die beste Wirtschaftspolitik,

die beste Klimaschutzpolitik."

 

Sie meinen: Die Schulschließungen haben die vorhandene Schieflagen verstärkt, aber verursacht haben sie sie nicht.

 

Wie Kinder durch Corona kamen, hing nicht ausschließlich oder ursächlich an offenen oder geschlossenen Schulen. Zentral war, wie stark Eltern, Lehrerinnen und Lehrer im Falle von Distanzunterricht darauf geachtet haben, die Kinder nicht zu verlieren, sie zusammenzuhalten. Sie mit den nötigen Endgeräten auszustatten. Sich zu kümmern. Haben die Kinder zu Hause die Möglichkeit, sich zum Lernen in eine ruhige Ecke zurückzuziehen? Haben sie Kontakte zu ihren Freundinnen? Wenige haben sich solidarisch gezeigt mit jenen, die einfach nicht mehr mitgekommen sind. 

 

Immerhin gab es die Digitalpakt-Milliarden für neue Laptops und für die digitale Ertüchtigung der Schulen. Und es gibt das Programm "Aufholen nach Corona".

 

Nun, hierzu gibt es ja viele Erkenntnisse. Die Gelder wurden wegen unabgestimmten Bürokratie-Ebenen teils nicht abgerufen, oder sie landeten bei jenen, die die Hilfen am wenigsten brauchen. Ein ordentliches Projektmanagement wurde vielfach nicht eingezogen und vor allem auch die Datengrundlagen für eine Evaluation der verschiedenen Programmbausteine nicht geschaffen. Das muss sich beim Startchancen-Programm ändern, damit die Mittel nicht am Ende verpuffen. Das ist eine sehr reale Gefahr. Bildungspolitik ist die beste Sozialpolitik. Sie ist auch die beste Wirtschaftspolitik, die beste Klimaschutzpolitik, das beste Mittel, sich zugehörig zu fühlen, ein Selbstwertgefühl aufzubauen, ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Gerade in diesen Zeiten ist das so wichtig, sonst kann man sich psychisch doch gar nicht halten. Die Spaltung in unserer Gesellschaft werden wir nur mit Bildung überwinden.


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Kommentare: 5 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    naja (Mittwoch, 28 Dezember 2022)

    Was soll das genau bedeuten: "Bildungsgerechtigkeit"? Mir scheint, im Interview und speziell bei Frau Allmendinger ist im Grunde eher so etwas wie "Bildungsgleichstellung" gemeint. Das sind aber zwei verschiedene Dinge. Die Natur (ja, die gibt es) stattet Menschen nun einmal mit unterschiedlich hoher Intelligenz oder anderen Fähigkeiten aus und Bildungsgleichstellung versucht, diese Unterschiede auszugleichen, etwa so (Zitat Allmendinger):

    "Wir müssen endlich aufhören, alle Kinder gleich zu behandeln, alle Schüler und alle Schulen. Die ungleichen Ausgangsbedingungen verlangen ungleiche Unterstützung. Wer es schwer hat, muss stärker gefördert werden."

    Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Gerecht wäre es, wenn jeder genau denselben Grad an Förderung erhielte. Es handelt sich also eher um einen Gleichstellungsversuch.

    Damit verbunden ist die Grundhaltung, dass es nur einen Verantwortlichen für den Bildungserfolg eines Individuums gibt, und das ist die Gesellschaft bzw die entsprechenden mit Bildung beschäftigten öffentlichen Institutionen. Das Individuum selbst ist immer nur Opfer oder begünstigt. Eigenes Leistungsvermögen, Eigene Kraftanstrengung, Eigener Wille kommt in diesem Erklärungsmodell nicht vor oder spielt nur eine vernachlässigbare Rolle am Rande. Das sind im Grunde vulgärmarxistische Ideen, die längst erledigt sind, von Frau Allmendinger aber unermüdlich immer wieder neu aufgewärmt werden.

  • #2

    Klaus Diepold (Mittwoch, 28 Dezember 2022 20:51)

    "Bildungspolitik ist die beste Sozialpolitik. Sie ist auch die beste Wirtschaftspolitik, die beste Klimaschutzpolitik, das beste Mittel, sich zugehörig zu fühlen, ein Selbstwertgefühl aufzubauen, ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben zu haben."
    Vielen Dank für diese Aussage.

    Ich möchte noch "beste Innovationspolitik" hinzufügen, weil danach auch ständig gerufen wird.

  • #3

    Klaus Diepold (Donnerstag, 29 Dezember 2022 16:05)

    @naja

    Sie sind also der Ansicht, dass die sich jährlich wiederholenden Befunde über die überaus große soziale Selektivität unseres Bildungssystems (Spitzenposition im OECD-Raum) lediglich "vulgärmarxistische Ideen" sind?

    Ist das wirklich eine Situation, die wir einfach so stehen lassen können? Dass es individuelle Unterschiede gibt stellt niemand ernsthaft in Frage. Aber wir sollten dies nicht als Ausrede nutzen um zuzusehen, dass Menschen systematisch beim Zugang zur Bildung benachteiligt werden.

    Ausserdem tragen wir als Gesellschaft, auch Sie, die Kosten, die durch diese Schieflage erzeugt werden.

  • #4

    naja (Donnerstag, 29 Dezember 2022 18:39)

    @Klaus Diepold: Sie sollten wenn schon, dann korrekt zitieren. Ich habe folgendes oben geschrieben: "Das Individuum selbst ist immer nur Opfer oder begünstigt. Eigenes Leistungsvermögen, Eigene Kraftanstrengung, Eigener Wille kommt in diesem Erklärungsmodell nicht vor oder spielt nur eine vernachlässigbare Rolle am Rande. Das sind im Grunde vulgärmarxistische Ideen".

    Dass "Menschen systematisch beim Zugang zu Bildung benachteiligt werden", halte ich für eine Art Verschwörungstheorie. Wer ist denn das, der da benachteiligt? Prinzipiell Zugang zu Bildung hat jeder in diesen Land. Die interessante Frage ist, was daraus gemacht wird bzw gemacht werden kann. Und für dieses "kann" sind viele Faktoren entscheidend. Eben nicht nur, wie im Interview insinuiert, gesellschaftliche Faktoren, sondern auch und in mindestens demselben Maße persönliche Faktoren. Die pure Reduktion des Problems auf gesellschaftliche Verantwortung ist halt vulgärmarxistischer Unsinn.

  • #5

    Klaus Diepold (Sonntag, 01 Januar 2023 11:04)

    @naja
    wenn Sie darin Verschwörungstheorien sehen, dann ignorieren Sie die konkrete (internationale) Zahlenlage, die eine eindeutige Sprache spricht. Sobald sich die persönlichen Faktoren herausmitteln, dann bleiben noch die gesellschaftlichen Faktoren übrig um die Unterschiede zu erklären. Vor allem der internationale Vergleich zeigt das deutlich.